von DL7AWL
SEG 15 D und SEG 100 D sind professionelle Kurzwellentransceiver ("Sende-Empfangs-Gerät") des VEB Funkwerk Köpenick der DDR, die in den 70er Jahren entwickelt und bis zur Wende in praktisch unveränderter Form gebaut wurden. Die Geräte waren u.a. bei Volkspolizei und zivilen Rettungsdiensten im Einsatz. Zudem wurden sie weltweit, vornehmlich in die sog. Entwicklungsländer, exportiert. An manchen entlegenen Stellen der Erde dürften die robust, spritzwassergeschützt, staubdicht und tropentauglich gebauten und unverwüstlichen Geräte auch heute noch in Gebrauch sein. Ergänzt werden die beiden modularen Systemfamilien durch reichhaltiges Zubehör, welches die Anpassung an die unterschiedlichsten Stromversorgungen und Einsatzbedingungen und einen Betrieb selbst unter widrigsten Bedingungen ermöglicht. Nach dem Zusammenbruch der DDR erfreuen sich diese Geräte bei Funkamateuren großer Beliebtheit.
Die volltransistorisierten Geräte sind für die Betriebsarten SSB und CW (SEG 100 auch Fernschreiben) gedacht. Als weitere Betriebsart ist "Quasi-AM" (A3H) möglich, nämlich SSB mit hinzugefügtem Träger, wodurch auch Kommunikation mit reinen AM-Gegenstationen möglich ist. Abgedeckt wird der Kurzwellenbereich von 1,6 bis 12 MHz, so daß die wichtigsten Amateurbänder enthalten sind. Eine Erweiterung auf das 20-m-Band ist mühelos möglich und macht die Geräte für Funkamateure noch interessanter.
Die Zahlen der Typenbezeichnung geben die jeweilige Sendeleistung in Watt an; das "D" steht für "digital" (nämlich PLL-Frequenzsynthese) und weist darauf hin, daß es auch analoge Vorläufer gegeben hat. Markantestes Merkmal beider Systeme ist denn auch die "digitale" Freqenzwahl und -anzeige in KHz-Schritten mittels dekadischer Drehschalter (rechts).
Um auch Stationen auf beliebigen "krummen" Frequenzen empfangen zu können, gibt es - siehe rechter Knopf in der Abbildung - einen im Empfangsbetrieb zuschaltbaren Clarifier (der hieß übrigens auch im DDR-Deutsch so, vermutlich ein Versehen...). Gesendet werden kann aber von Haus aus nur auf "glatten" Frequenzen im 1-KHz-Raster. Für Afu-Zwecke ist das natürlich viel zu grob, so daß man mittels einer minimalen Modifikation (Umlöten eines Drahtes) den Clarifier auch für Sendebetrieb wirksam machen muß.
Ein weiteres interessantes Merkmal ist, daß beide Systeme - jedes auf seine Art - eine problemlose und optimale Anpassung (fast) beliebiger Antennen ermöglichen. Sozusagen selbst mit dem sprichwörtlichen "nassen Schnürsenkel" als Antenne ist bereits Funkbetrieb möglich...
Die Technik beider Geräte ist für heutige Verhältnisse antiquiert, aber gerade das macht die Geräte für den Amateur so interessant, und zwar aus zwei Gründen. Erstens sind die Geräte - als technisch veraltete "Auslaufmodelle" - für den Weltmarkt nicht mehr interessant und deshalb [leider] teils eingestampft und verschrottet, teils aber auch in großen Stückzahlen zu relativ günstigen Preisen auf den "Surplus"-Markt gelangt. Zweitens ist das simple und "grundehrliche" Schaltungskonzept - zumindest bei SEG 15 D - überschaubar und auch für den technisch weniger versierten Funkamateur nachvollziehbar - dazu reichen notfalls schon die Kenntnisse, die man auch für die Afu-Prüfung brauchte. Keine undurchschaubaren Microcontroller und Spezialchips erschweren das Verständnis. Auch der sozusagen "begehbare" Aufbau, ohne mikroskopische und vielbeinige oder schwer erhältliche Spezial- und SMD-Bauteile freut den Amateur. Hier kann noch jeder selbst Hand anlegen und z.B. Reparaturen oder interessante Modifikationen vornehmen.
Der Blick auf das Wesentliche wird auch nicht durch "Schnickschnack" behindert. Natürlich muß man auf komfortable Dreingaben wie Speicherplätze, S-Meter, Vox, Notchfilter, Squelch, Passbandtuning, Split-Betrieb usw. verzichten, und auch ein simples "Übers-Band-Drehen" ist mit den Drehschaltern naturgemäß etwas mühsam. Aus diesem Grund, aber auch wegen der fehlenden oberen Kurzwellenbänder, wäre ich übrigens mit einem SEG als einzigem Kurzwellentransceiver vermutlich nicht auf Dauer zufrieden. Aber als Zweitgerät macht es Freude - es befriedigt das Interesse an buchstäblich "begreifbarer" Technik, die man nicht nur konsumieren, sondern sich noch wirklich aktiv aneignen kann. Im übrigen kann das, worauf es wirklich ankommt, auch heute noch zufriedenstellen. So ist der Doppelsuper-Empfänger (1. ZF 28,2 MHz, 2. ZF 200 KHz) mit hochwertigen mechanischen Filtern recht ordentlich und kann sich durchaus mit modernen japanischen Geräten der Mittelklasse messen. Ich habe keine Meßmöglichkeiten für einen exakten objektiven Vergleich, aber ein subjektiver Empfangsvergleich mit meinem deutlich moderneren FT-890 in kritischen Situationen ergab nur manchmal einen hauchdünnen Vorteil zugunsten des FT-890.
Wenn man bedenkt, was der ambitionierte Amateur heute für "begreifbare Technik" in Form von QRP- bzw. Bausatzgeräten ausgeben muß, kommt man zu dem Ergebnis, daß man ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis nirgendwo findet! Die für eine aktive Auseinandersetzung mit den Geräten nötigen Schaltbilder und Dokumentationen sind (im Prinzip) verfügbar, und auch nahezu alle Komponenten und Ersatzteile dürften noch auf lange Sicht in ausreichender Menge erhältlich sein. Was will man mehr?